Glockenturm, Bad Camberg-Würges

Als Kind war mir schnell klar, dass ich in den Norden muss. Die Band „Truck Stop“ hatte es mir mit dem Gassenhauer „Der Wilde Westen fängt gleich hinter Hamburg an“ angetan und die Gegend umschrieben, in der ich mein berufliches Ziel verwirklichen konnte. Dann saß ich mit meinem Cowboyhut in unserem Garten, bewaffnet mit einem Knüppel, und ich wartete darauf, irgendwie nach „hinter Hamburg“ zu kommen, um dort als Cowboy durchzustarten.

Spätestens 20 Jahre später musste ich beim ersten Besuch meiner Schwiegereltern in Lübeck feststellen, dass der Landstrich hinter Hamburg entlang der Autobahn trostlos und keinesfalls der Wilde Westen ist. Alles andere als ein „Goldener Grund“. Den findet man dafür im Süden Hessens am Ende der Hochtaunusstraße. Im Bad Camberger Stadtteil Würges schlummert ein wunderschönes Stadion, das einen ehemaligen Oberligisten und zweifachen Hessenpokalsieger beherbergt.

Immer, wenn unser RSV im Angriff ist und es gefährlich wird, dann ziehe ich hier am Seil und läute kräftig die Glocke.

Stadionsprecher Olaf Bänsch auf »groundblogging.de«

Es ist aber nicht der Platz alleine und auch nicht sein schöner Name, der Würges Rang 39 in der „11FREUNDE“-Hitliste beschert. Es ist der Glockenturm, der auf der Sprecherkabine steht, beim Torerfolg das Bimmelchen läuten lässt und dem Magazin zufolge aus so ferner Zeit ist, „dass niemand mehr weiß, wie es zu dem Ritual kam“.

Im Glockenturm hängt ein teures Souvenir aus Bremerhaven

Diese Behauptung ist aber nicht richtig, denn im Taunus kann man sich sehr wohl erinnern, woher die Glocke stammt – und tatsächlich führt der Weg in den hohen Norden. Als der RSV Würges 1980 in der zweiten Runde des DFB-Pokals beim OSC Bremerhaven triumphierte, sicherte sich die Anhängerschaft ein Andenken an diesen Erfolg. „Während der Siegesfeier im Restaurant des Museumsschiffs »Seute Deern« im Deutschen Schifffahrtsmuseum erwarben einige Fans nach zähem Ringen vom Besitzer die Glocke für 700 DM und brachten sie mit zurück an den Fuß des Hochtaunus“, schreibt Das große Buch der deutschen Fußballstadien. Es klärt auch auf, woher der Name „Goldener Grund“ stammt: Er wird von dem fruchtbaren Ackerboden des 2 500 Einwohner-Dorfes hergeleitet.

Ganz so scharf geschossen wird in Würges nicht mehr. Nach der Insolvenz des Hauptsponsors ist man von der Oberliga so weit entfernt wie von Hamburg. Das Stadion wird weiter einen Namen tragen, der auch gut zu einem Western passen würde. Das ist fast so weit hergeholt wie eine Glocke aus Bremerhaven.

Anschrift: Glockenturm im Stadion Goldener Grund, Am Sportplatz 5, 65520 Bad Camberg

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