Robert-Kölsch-Stadion, Bürstadt

Fällt der Blick auf die Stadiongaststätte des VfR Bürstadt, entdeckt man unter dem Vordach ein markantes Relikt aus einer anderen Zeit. Zumindest sie ist noch da, die „herzzerreißende Anzeigetafel“ (11FREUNDE), die 1975 von einem örtlichen Uhren- und Schmuckfachhändler gestiftet wurde. Vieles hat sich seit unserem letzten Besuch im Robert-Kölsch-Stadion verändert, vieles verändert sich gerade immer noch. Auf einem riesigen Schild steht, dass die Fertigstellung des Bildungs- und Sportcampus Bürstadt „voraussichtlich Frühjahr 2022“ erfolgen wird. Dass der Termin nicht gehalten werden kann, verrät ein Blick auf den Platz, der mit Bauzäunen und Baggern besät ist. Die Eröffnung ist nun für den Herbst 2023 vorgesehen, besonders viel wird vom Robert Kölsch dann nicht geblieben sein.

Am liebsten würde ich nur die eine Geschichte erzählen. Die des Robert-Kölsch-Stadions, das Groundhopper aus der ganz Europa anzog, weil es an die bessere Zeit der Siebziger- und Achtzigerjahre erinnerte, in der die Kleinstadt (rund 15 000 Einwohnerinnen und Einwohner) bis in die 2. Bundesliga vorstoßen konnte. Ein Erfolg, der auf viele Namen zurückzuführen war.

Der eine tauchte eine Zeit lang im Vereinswappen auf. „Als einer der ersten deutschen Fußballvereine überhaupt verkaufte der VfR Bürstadt seine Namensrechte an einen Sponsor“, erklärt der Mannheimer Morgen. Von 1973 bis zur Spielzeit 1982/83 lief der Verein als VfR OLI Bürstadt auf, eine Abkürzung für „Otto Limburg OHG Edelstahltöpfe“, einen in Bürstadt-Bobstadt ansässigen Geschirrfabrikanten, der 1987 Konkurs anmelden musste.

Robert Kölsch war ein Mäzen alter Schule

Der andere war der von Robert Kölsch. Der gebürtige Pfälzer erfüllte alle Klischees eines Mäzens. „Drei Dinge brauchte der Mann: seinen Hut, seine Zigarre und seinen Verein“, schrieb der Mannheimer Morgen in einer Würdigung kurz nach Kölschs Tod. Kölsch machte sein Vermögen erst als Handelsvertreter und später als Besitzer von Schuh- und Sportgeschäften, „Bis in die Zweite Bundesliga hätte es der VfR ohne sein finanzielles Engagement nicht geschafft“, heißt es in dem obengenannten Artikel. Kölsch starb im Mai 2010 im Alter von 95 Jahren. Das 100-jährige Jubiläum des 1910 gegründeten Vereins erlebte er noch mit, das Stadion (das vorher Waldstadion hieß) trug bereits seit 1990 seinen Namen, was allein deshalb schon passte, weil man seinen „Mercedes […] täglich im Stadion sehen konnte“, wie die VfR-Chronik berichtet.

„Sein besonderes Anliegen war das Stadion mit dem zentralen Mittelpunkt einer besonders gepflegten Rasenfläche“, heißt es dort. Das Buch zeigt ein Bild aus den Fünfzigerjahren und einen einfachen umzäunten Platz mit „einer Rasenfläche mit vielen lichten Stellen“. Bereits 1911 hatte man das Gelände gepachtet und in den Jahren 1923 bis 1924 den Waldsportplatz erstellt. Vom Zweiten Weltkrieg gezeichnet wurde er ab 1946 wieder auf- und ausgebaut und 1948 mit einem Spiel gegen Waldhof Mannheim eingeweiht. Obwohl auch in den darauffolgenden Jahren vom Vereinsheim über die Lautsprecher bis hin zum Ausbau der Stehränge permanent an der Anlage gefeilt wurde, erlebte sie ihre beste Zeit in den Siebzigern, als aus dem Waldsportplatz das Waldstadion wurde. Sinnbildlich dafür war die 850 Zuschauer fassende, 1973 für insgesamt 330 000 Mark errichtete Haupttribüne.

Wir wollten schnell nach oben, und da mussten wir eben ein paar gute Spieler nach Bürstadt locken.

Robert Kölsch im »Sühessen Morgen«

Das Gros des Stadions beruhte aber auf dem ehrenamtlichen Engagement der Mitglieder. Als der Hauptsponsor OLI schon lange nicht mehr im Vereinsnamen auftauchte, entstand 1985 in Eigenarbeit eine Sprecherkabine für Rundfunk- und Fernsehreporter. In den Folgejahren wurde eine „Rentnergruppe“ (VfR-Chronik) gegründet, die es sich zur Aufgabe machte, Reparaturen, Pflegearbeiten und bauliche Ergänzungen zu erledigen. Die Arbeit wurde belohnt, 1999 kamen 6 000 Menschen zum Jugendländerspiel zwischen Deutschland und Portugal nach Bürstadt und sahen „eine rassige und hochklassige Begegnung“ (Kicker), die 0:0 endete. Für das Länderspiel wurde die Tribüne extra mit neuen Sitzschalen bestückt.

Oh, da waren eher 15 000 da. Es war alles rappelvoll, die Leute haben in drei, vier Reihen gestanden.

Ludwig Brenner im »Mannheimer Morgen« über das Aufstiegsspiel gegen 1860 München

Der Rekorde mit 10 000 Zuschauerinnen und Zuschauer (und mehr) wurden 1970 beim Freundschaftsspiel gegen die Bayern (1:1) und in den Aufstiegsspielen zur 2. Bundesliga aufgestellt. „In insgesamt vier Zweitliga-Jahren stieg der VfR drei Mal direkt ab – 1978 und 1985 jeweils als Drittletzter der Tabelle, 1981 als Tabellendreizehnter nur aufgrund einer Ligareform. Lediglich in der Saison 1979/80 schafften die Hessen den Klassenverbleib in der 2. Bundesliga“, bilanziert die Chronik auf der Vereinsseite.

Eine nüchterne Zusammenfassung, wenn man bedenkt, dass „Ligareformen zur Unzeit gleich dreimal einen Bürstädter Fußballboom erstickten“, wie Das große Buch der deutschen Fußballvereine schreibt. Zwar wurde in dieser Zusammenfassung die Saison 1932/33 mitberücksichtigt, aber 1981 schafften es der VfR Bürstadt und Heinrich Hiltl sogar bis ins Fernsehen, weil sie gegen die Einführung der eingleisigen 2. Bundesliga vorgingen: „Er mobilisierte die betroffenen Vereine, klagte und hatte einen viel beachteten Auftritt im Aktuellen Sportstudio. Doch der DFB blieb hart, es blieb ab der Saison 1981/82 bei einer eingleisigen Zweiten Liga mit 20 Vereinen“, erläutert der Mannheimer Morgen. Auch der Name Heinrich Hiltl ist untrennbar mit der Bürstädter Erfolgsstory verbunden, erst als Spieler (350 Spiele und 250 Tore), später als Funktionär.

Als [der DFB] 1974 die Zweite Liga Süd als Unterbau zur Bundesliga installierte, blieb der VfR Bürstadt „wegen fehlender Traditionspunkte“ unberücksichtigt.

»Mannheimer Morgen«

Bis Mitte der Neunzigerjahre gehörte der VfR Bürstadt, immerhin deutscher Amateurmeister von 1975, zum festen Inventar der drittklassigen Oberliga Hessen. Die Saison 2001/2002 war die letzte in Hessens höchster Spielklasse. Auf und neben dem Spielfeld gehören Lothar Buchmann (u. a. als Trainer Pokalsieger mit Eintracht Frankfurt), Nationalspieler Jürgen Groh (u. a. Europapokalsieger mit dem Hamburger SV) oder die Mannheimer Trainerlegende Klaus Schlappner zu den bekanntesten Akteuren der Vereinsgeschichte.

Kurz nach der Jahrtausendwende kam der VfR Bürstadt aufgrund alter Verbindlichkeiten nicht um den Verkauf des Stadions an die Stadt herum. 2007 stand der Verein nach einer Nachforderung der BfA in Höhe von 300 000 Euro erneut kurz vor dem Konkurs und musste Insolvenz anmelden, konnte sich aber durch einen Vergleich retten.

Für Groundhopper wurde das Robert-Kölsch-Stadion zum Paradies

Als die 11FREUNDE im Mai 2012 die „99 Orte, die Fußballfans gesehen haben müssen“ auflisteten, war der verblasste Glanz des Robert-Kölsch-Stadions Fluch und Segen zugleich. „Die Tribüne ächzt unter ihrem rustikalen Charme, die Torpfosten sind ähnlich vergilbt wie die Mannschaftsfotos im Vereinsheim“, hieß es im Fußball-Kultur-Magazin. Die Firmen auf den Werbebanden hatten mitunter noch vierstellige Postleitzahlen, die Steinstufen des einstigen Vorzeigeobjekts Haupttribüne waren rissig. Auf Fußball-Nostalgiker hatte das Robert-Kölsch-Stadion damit eine einzigartige Anziehungskraft, aber trotz internationaler Groundhopper-Stammgäste kamen selten mehr als 200 Besucherinnen und Besucher zu den Heimspielen des VfR.

Für einen Verein, der seit Jahrzehnten nichts mehr mit Bundesliga-Fußball zu tun hatte, war das alles viel zu groß. Im Juli 2019 wurde die Tribüne abgerissen, ihre Sanierung hätte fast eine halbe Million Euro gekostet. Zwar kämpfte der VfR noch um den Erhalt der Tribüne (VfR-Chef Gassert 2019 im Mannheimer Morgen: „Die Tribüne ist ein wichtiges und traditionsreiches Bauwerk. Es ist ein Stück Historie, das erhalten werden sollte“), aber die Politik votierte einstimmig dagegen – den Planern des neuen Bildungs- und Sportcampus sollte mehr Spielraum gegeben werden.

Es ist diese rational oft schwer erklärbare Liebe, die Altbewährtem und in die Jahre Gekommenem eine fast magische Anziehungskraft verleiht.

Claudio Palmieri im »Mannheimer Morgen«, kurz vor dem Abriss der Tribüne

Der Campus – und diese Geschichte gehört eben auch zum Robert-Kölsch-Stadion – nimmt seit 2021 konkrete Formen an, eine Webseite informiert über das Vorhaben und dessen Fortschritte. „Eigentlich – so steht es auf dem Bauschild am Eingang zum Stadion – hätte der Campus schon zwischen Juni 2019 und Frühjahr 2022 entstehen sollen. Allerdings nahm sich die Stadt mehr Zeit, um noch weitere Fördergeber zu finden und Anträge zu stellen“, erklärt der Mannheimer Morgen. Einer der Förderer der rund 17 Millionen Euro teuren Anlage ist Dietmar Hopp, sein Name steht für eine neue Epoche in der Bürstädter Vereinschronik.

Was geblieben ist, ist die Anzeigetafel unter dem Vordach der Gaststätte. Ein Nachbau. Um das Original, das es sogar auf das Cover der „11FREUNDE“ schaffte, gab es kontroverse Diskussionen zwischen Schrottpresse und Erinnerungskultur: „Die Anzeigetafel inklusive Uhr wird mit Zustimmung des Vereins entsorgt“, hieß es am 5. Juli 2019 im Mannheimer Morgen, drei Tage später erklärte die Stadt auf ihrer Facebook-Seite: „Aufgrund der großen Resonanz versuchen wir nun, die historische Anzeigetafel des VfR Bürstadt zu sichern, sie an einem geeigneten Ort aufzustellen und somit zu erhalten“. Die Anzeigetafel wurde daraufhin vom Bauhof abgeholt und zwischengelagert, ob und wo sie einmal stehen wird, sei noch unklar, wie Pressesprecher Norbert Krezdorn bei unserem Telefonat erzählt. Optimistisch klingt er dabei nicht: „Heute planen, morgen vergessen, übermorgen weg“, sagt er, „man kennt das ja“.

An ein Stadion erinnert jetzt nicht mehr viel.

Überschrift im »Mannheimer Morgen« vom 4. Juli 2019

Nach dem Abriss der Tribüne wäre es fatal, wenn das letzte identitätsstiftende Denkmal der VfR-Historie keinen Platz im nicht gerade mit Hotspots besäten Bürstädter Stadtbild bekäme. Bürgermeisterin Barbara Schader im Mannheimer Morgen: „Die Uhr ist ein Zeichen von damals, sie lässt die Erinnerung aufleben. Das ist auch gut so, das finde ich wichtig.“

Anschrift: Robert-Kölsch-Stadion, Nibelungenstraße 199, 68642 Bürstadt

Bei Google aufrufen

Die Baustelle des Bildungs- und Sportcampus Bürstadt im März 2023:

Das Robert-Kölsch-Stadion vor dem Abriss:

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