Poststadion, Berlin-Moabit

„Die Hoffnung der deutschen Fußballanhänger auf den olympischen Sieg ist nicht erst in den letzten Tagen entstanden“, schreibt der Kicker Anfang August 1936, „und er wurde nicht erst durch den hohen Sieg über Luxemburg genährt“. Deutschland, das ist neben Schweden und Großbritannien eine der Mannschaften, die bei Hitlers Propagandaspielen unter die letzten Vier kommen müssen, wie der Kicker befindet. Und als Adolf Hitler „unter dem Jubel der Massen in das Poststadion“ einzieht, um dem Viertelfinalspiel gegen Norwegen beizuwohnen – für den Führer ist das Poststadion ein gutes Pflaster, einige Monate zuvor hatte er an gleicher Stelle die Maikundgebung auf der Ehrentribüne abgehalten –, wird der deutsche Sieg endgültig obligat.

Wäre da nicht „die glorreiche Ungewißheit des Sports“, die Magnar Isaksen in der 83. Minute mit seinem zweiten Tor auf 2:0 erhöhen lässt. 45 000 Zuschauer müssen „im Poststadion traurig und auf das Schwerste enttäuscht“ zusehen, wie Deutschland gegen Norwegen ausscheidet. „Keiner der vielen Zehntausende wollte natürlich, daß gerade unser Sport den geliebten und verehrten Führer enttäuschen sollte“, fährt der Kicker fort, „dieses 0:2 vor Adolf Hitler, der erstmals einem Fußballkampf zusah – das hätte einfach gar nicht drin sein dürfen, das mußte ausgeschlossen sein“.

Der „Kicker“ spricht im August 1936 sowohl von 40 000 als auch von 45 000 Besucherinnen und Besuchern, „Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien“ von 50 000 Menschen, die Webseite des Sportparks von 55 000 und damit dem „Zuschauerrekord in dem nunmehr erweiterten Stadion“.

Hitlers erstes Fußballspiel soll zugleich sein letztes gewesen sein. Während sein Volk, „das Heer jener begeisterungsfähigen Menschen, die mit allem Idealismus, mit aller Liebe an dem Fußballsport hängen“, den im Deutschen Reich noch so jungen Sport vergöttert, hat der „Fußballmagnetismus“, von dem der Kicker in seiner 32. Ausgabe des Olympiajahres schreibt, den Führer nicht befallen. „Als am Schluß beide Mannschaften sich vor dem Führer aufbauten, ihn noch einmal grüßten, da war einer der bittersten Augenblicke, den der deutsche Fußball je erlebt hat, gekommen“. („Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien“ berichtet davon, dass Hitler vorzeitig das Stadion verließ.)

Ja, die Engländer! Wenn sie so gut hätten spielen können wie sie aussahen – das wäre eine Sache gewesen. Baumlange knochige Kerle – hager, sehnig, ohne Fett, alle mit Gardemaß, wundervolles Menschenmaterial, eine Sehenswürdigkeit schon an sich.

Aus dem »Kicker« während der Olympischen Spiele 1936

Von 1926 bis 1929 („Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien“ datiert den Beginn der Bauarbeiten wie auch der „Kicker“ auf das Jahr 1925) wurde das Poststadion für den 1924 gegründeten SV Post Berlin auf einem ehemaligen Militärareal errichtet, während der Bauzeit fanden Spiele (wie das zwischen Tennis Borussia und Hertha vor 25 000 Menschen, 0:0) statt. Bei der Fertigstellung war der Platz in Moabit mit seiner 76 Meter langen Tribüne „das modernste Stadion der Reichshauptstadt“, wie Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien schreibt. Der Planer des Stadions, der Architekt und Sportfunktionär Georg Demmler, war 1900 einer der Mitbegründer des DFB.

Im Poststadion holte der FC Schalke seine erste Deutsche Meisterschaft

Vor der vielbeschriebenen 0:2-Niederlage gegen Norwegen bei den olympischen Spielen von 1936 fanden an der Lehrter Straße bedeutende Begegnungen statt: Schalke feierte im Juni 1934 mit einem 2:1 gegen Nürnberg vor 45 000 Zuschauerinnen und Zuschauern seine erste Deutsche Meisterschaft. Zwei Jahre später revanchierten sich die „Glubberer“ im Halbfinale an den Königsblauen und holten mit einem 2:1 im Endspiel über Fortuna Düsseldorf im Poststadion ihren sechsten Meistertitel. (Schalke sicherte sich dort einen Tag zuvor den dritten Platz.) Auch für Max Schmeling erwies sich Berlin-Moabit als guter Boden, den Basken Paulino Uzcudun schlug er 1935 vor 45 000 Menschen nach Punkten.  

Beim Betreten des riesigen Stadions wogt es einem entgegen: eine unübersehbare Menschenmenge, Kopf an Kopf. Mögen auch im Hintergrund viele Reihen unbesetzt sein – das Bild ist doch gigantisch, ist selbst für Berlin ein seltener Anblick.

Der »Kicker« zum Boxkampf zwischen Schmeling und Uzcudum

Mit der Eröffnung des Olympiastadions verlor das Poststadion an Bedeutung. Von 1937 bis 1944 fanden die Endspiele um die deutsche Fußballmeisterschaft in Hitlers neuem Prestige-Bau statt, bereits 1937 wurde das Poststadion im Kicker für seine „unsichtbare Rasenfläche“ kritisiert, die „alles andere als ein ideales Spielfeld war“.  

Es gibt verschiedene Aussagen darüber, in welchem Zustand sich das Poststadion nach dem Zweiten Weltkrieg befand: Die Webseite des Sportparks spricht davon, dass die Sportanlage „nur verhältnismäßig leicht beschädigt“ wurde, Das große Buch der deutschen Fußballstadien schreibt dagegen, dass das Stadion „durch Bombenabwürfe schwer beschädigt“ und das „Tribünengebäude völlig ausgebrannt“ war. Die Humboldt-Universität und die Berliner Woche entscheiden sich für die goldene Mitte und berichten davon, dass das Stadion „teilweise zerstört“ wurde bzw. „einigermaßen glimpflich“ davonkam.

Das Poststadion war bereits im Sommer 1945 wieder bespielbar

Jede dieser Ausführungen wird durch nachvollziehbare Begründungen untermauert. Ein Bild des Bundesarchivs aus dem Jahr 1946, auf dem Kurt Schumacher während einer SPD-Kundgebung zu sehen ist, stützt die „goldene Mitte“: Schumacher steht zwischen vielen Menschen auf der Tribüne, deren Dach völlig abgedeckt ist. Und während „Das große Buch der deutschen Fußballstadien“ mit seiner sehr detaillierten Ausführung über die Wiedereröffnung (der nun 3 000 Menschen fassenden) Tribüne und deren Innenausbau im Jahr 1950 die eigene Position forciert, spricht die Wiederbespielbarkeit des Platzes ab Sommer 1945 für geringe Schäden.

Durch die Aufschüttung mit Trümmerschutt wurde die Kapazität nach dem Krieg auf 60 000 erweitert, davon 55 000 Stehplätze und 5 000 Sitzplätze, von denen wiederum die Hälfte überdacht war. 1952 kamen 40 000 Menschen ins Poststadion, um Tennis Borussias 3:3 gegen Rapid Wien beizuwohnen.

„Als Peters und Heini das Poststadion betraten, war das Vorspiel schon bis zur Mitte der 2. Halbzeit fortgeschritten. Mindestens 40 000 Schulkinder füllten bereits die Zuschauertribünen. Es gab kaum noch einen Platz. Und dabei strömten immer noch neue Schulklassen durch die Stadiontore herbei.“

Aus Sammy Drechsels »Elf Freunde müßt ihr sein«

Drei Jahre später wurde mit der beleuchteten Rollsportanlage das vorerst letzte Mosaikstück des Sportparks fertiggestellt, nachdem bereits 1950 die Schwimmhalle, 1952 das Sommerbad und 1953 neue Sportplätze sowie das Tennisstadion (wieder)eröffnet wurden.

Ebenfalls in den Fünfzigerjahren lockte der Union Berlin-Halbbruder SC Union Berlin zahlreiche Fans an die Lehrter Straße, in den Siebzigern erzielte Wacker Berlin mit 25 000 Menschen beim Spiel gegen Braunschweig die beste Besucherzahl der Vereinsgeschichte im Poststadion.

Das Poststadion gilt heute als die größte Stadionruine in Deutschland

»Tagesspiegel« 2008

Im selben Jahrzehnt begann das, was der Sportpark Poststadion auf seiner Webseite als „Dornröschenschlaf“ bezeichnet. Das einst größte Stadion Berlins entwickelte sich über mehrere Dekaden hinweg zum Sanierungsfall. Die Tribüne wurde gesperrt, das Hallenbad und das Sommerbad mussten schließen, Pläne (wie den für ein 50 000 Besucherinnen und Besucher fassendes „kleines Olympiastadion“ oder ein reines Fußballstadion mit 25 000 Plätzen) wurden geschmiedet und wieder verworfen, Hertha BSC zog in den Achtzigern ins Poststadion ein und wieder aus. Aus der gewaltigen Westkurve wurde ein kleines Wäldchen, in dem man Wellenbrechern, Tieren und haufenweise Müll begegnete. Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien fasste treffend zusammen: „Eine der schönsten Sportanlagen der Stadt verkam rapide“.

Heute kann man das Poststadion wieder dazu zählen. 2003 begann die stückweise Sanierung des denkmalgeschützten Tribünengebäudes, zwei Jahre später wurde eine Kunststofflaufbahn installiert, neue Kunststoffsitze schmücken die Gegengerade und die Haupttribüne. Der Sportpark bekam 2009 eine Rundlaufstrecke, 2015 eine Street-Workout-Anlage und 2018 einen Skaterpark, die Modernisierung des Flutlichts wurde 2021 abgeschlossen, ein Jahr später wurde die Baumaßnahme „Neugestaltung Eingangsbereich Poststadion bis zum Stadionwall“ fertiggestellt.

Dornröschen ist aus ihrem Schlaf erwacht. Oder wie Bezirksstadtrat Ephraim Gothe im Januar 2023 in einem Interview mit RBB24 bilanzierte: „Das Poststadion jetzt einfach ein attraktiver Standort mitten in der Stadt geworden“.

Anschrift: Poststadion, Lehrter Straße 59, 10557 Berlin

Internet: sportparkpoststadion.de

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Fotos aus dem Jahr 2023:

Fotos aus dem Jahr 2022:

Fotos aus dem Jahr 2012:

Fotos aus den Jahren 2003 und 2004:

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