Unfallort von Lutz Eigendorf, Braunschweig

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Der Unfallort im Jahr 1983 | Bildquelle: IMAGO / Rust

Lutz Eigendorf, DDR-Nationalspieler, der „ostdeutsche Beckenbauer“, setzt sich im Frühjahr 1979 bei einem Freundschaftsspiel seines BFC Dynamo Berlin beim 1. FC Kaiserslautern in den Westen ab. Nach einjähriger Sperre spielt er von 1980 bis 1982 für die roten Teufel, ehe ein Wechsel zu Eintracht Braunschweig folgt.

Nach einem verlorenen Heimspiel im März 1983 gegen Bochum landet Eigendorf nach einem Abstecher in seinem Stammlokal „Bei Conny“ und einer Stippvisite zuhause in der Kneipe „Zum Cockpit“. Dort trifft er sich mit seinem Fluglehrer Manfred Müller und trinkt, wie auch schon nach dem Spiel, zwei kleine Gläser Bier. Mehr sind auch nicht drin, morgen wird er seinen ersten Alleinflug bestreiten. Um ca. 22:00 Uhr verabschieden sich Eigendorf und Müller voneinander.

2,2 Promille – von vier Gläsern Bier

Knapp eine Stunde später erhält die Polizei Braunschweig einen Anruf. Ein schwarzer Alfa Romeo ist im Braunschweiger Stadtteil Querum von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Dem Fahrer, Lutz Eigendorf, werden 2,2 Promille nachgewiesen. Zwei Tage später stirbt der 26-jährige Lutz Eigendorf infolge seiner schweren Kopfverletzungen.

Für die Polizei Braunschweig ist der Fall klar: Lutz Eigendorf war nicht angeschnallt. Lutz Eigendorf hatte 2,2 Promille im Blut. Lutz Eigendorf fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit auf einer regennassen Fahrbahn „Ein tragischer Unfall, wie er in Deutschland jeden Tag passiert“, bilanziert der Podcast Verbrechen von nebenan diese Theorie. Es gibt aber auch noch eine andere.

Eigendorf lästerte vor der Berliner Mauer über die DDR

Nur wenige Wochen vor dem Unfall gab Eigendorf ein Interview vor der Berliner Mauer, in dem er wagt, die DDR „zu kritisieren und provozieren“, wie es das Hintergrund-Magazin Sport Inside nennt. Es ging unter anderem um die bessere Qualität der Bundesliga im Vergleich zur DDR-Oberliga, aber auch um tiefergehende Themen: „Wenn man im privaten Bereich nicht die Möglichkeit hat, sich individuell irgendwie zu vervollkommenen [sic!] oder weiterzuentwickeln, dann kann man das auch nicht auf dem Fußballplatz“, lästerte Eigendorf im Sender Freies Berlin.

Dabei stand nicht allein die Aussage eines abgehauenen Fußballers im Raum, sondern die eines ganz besonderen Republikflüchtlings. Einerseits war Lutz Eigendorf der DDR-Vorzeigefußballer, kam mit 14 Jahren ins Internat des BFC Dynamo Berlin, debütierte vier Jahre später in der ersten Mannschaft des DDR-Serienmeisters und wurde mit 22 Jahren Nationalspieler. Andererseits war der BFC Dynamo Berlin der Lieblingsklub von Stasi-Chef Erich Mielke, womit Eigendorfs Flucht für Mielke zu einer persönlichen Angelegenheit wurde. „Wenn ich will, spielt Eigendorf kein Fußball mehr“, soll Mielke bereits 1981 in einem Gespräch mit dem Kugelstoß-Weltmeister Wolfgang Schmidt gesagt haben, weiß das Forum zur Aufklärung und Erneuerung.

Es gibt zwei Theorien

„Es spricht zumindest sehr, sehr viel dafür, dass der Geheimdienst beschließt, dass der Verräter Lutz Eigendorf sterben muss“, schlussfolgert der obengenannte True-Crime-Podcast. Eine Theorie, die auch der Historiker Andreas Holy teilt, der sich im Rahmen seiner Examensarbeit mit dem Fall befasste. Auch er sagt: „Vielleicht war das [Interview] der Tropfen […], der das Fass zum Überlaufen brachte.“

„Eigendorf war […] keinesfalls betrunken, als er gegen zehn Uhr abends die Fliegerkneipe verließ. Trotzdem wurde bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus der Alkoholwert von 2,2 Promille festgestellt“, erklärt Holy in einem 11 FREUNDE-Interview und ergänzt: „Um so einen hohen Alkoholwert zu erreichen, hätte er innerhalb kürzester Zeit viereinhalb Liter Bier oder zwei Liter Wein trinken müssen. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

Holy nennt in dem Interview weitere Belege, die für einen Mord sprechen: Da wäre die Strecke, die nicht auf Eigendorfs üblichen Heimweg lag. Die Aussage von „IM Klaus Schlosser“, der für einen Mordauftrag an Eigendorf 5 000 Mark bekommen haben soll. (Eine Aussage, die aufgrund der mangelnden Glaubwürdigkeit Schlossers mit Vorsicht zu genießen ist.) Und der offensichtlichste Beleg, ein handschriftliches Blatt in Eigendorfs Stasi-Akte, auf dem der Vermerk „Unfallstatistiken? Von außen ohnmächtig? Verblitzen, Eigendorf, Narkosemittel“ steht. Verbrechen von nebenan bringt zusätzlich das Zeitfenster rund um den Unfall ins Spiel, das die Vermutung aufkommen lässt, dass die Stasi Eigendorf aufgelauert und ihn vergiftet habe; und bereits im August 1990 verfügte der Generalbundesanwalt Alexander von Stahl über vielsagende Informationen des BND, die ihn dazu veranlassten, den Kolleginnen und Kollegen im Osten einen Brief zu schreiben.

Die Mord-Theorie wird von Juristen angezweifelt

Auch der Jurist Stefan Laskowski sichtete die Akten zum Fall. Er kommt zu einem anderen Ergebnis: „Die Mordtheorie an Eigendorf gibt meiner Meinung nach nicht viel her“, sagt er der Thüringer Allgemeinen: „Denn was wäre passiert, wenn Eigendorf überlebt hätte? Wenn er sich zwar in den Wagen gesetzt hätte, aber nach hundert Metern an einer Ampel eingeschlafen wäre? Wenn er sich während der Fahrt angeschnallt hätte? Was wäre passiert, wenn er einen anderen Weg genommen hätte, als seine Mörder dachten? Oder? Oder? Oder?“

Ähnlich denkt Hans-Jürgen Grasemann, damals der ermittelnde Oberstaatsanwalt. Er schließt einen Mord aus: „Es reicht nicht aus zu sagen: es war ein Mord der Stasi, wir müssen ja Beweise haben und die sind nicht da“, sagt er auf dem Zeitzeugenportal.

Die Ecke an der Abzweigung war zwar als Unfallschwerpunkt bekannt, hier hatte es auch schon Tote gegeben. Meist jedoch wurden sie durch Abbiegefehler verursacht. Die Kurve selbst hingegen bot nur mäßig tödliche Hindernisse für Raser, die von der Straße abkamen. 

Bedenken des zuständigen Juristen Stefan Laskowski in der »Thüringer Allgemeinen«

Beiden Seiten müssen sich damit abfinden, dass ihre Theorie vom Mord an Eigendorf niemals aufgeklärt werden wird. Eigendorfs Wagen wurde zwar von einem Sachverständigen untersucht, aber eben nicht kriminaltechnisch. Auch Eigendorf selbst wurde nie obduziert, er wurde am 17. März 1983 auf dem Hauptfriedhof Kaiserslautern beigesetzt. Die Stasi-Akten, die zur Aufklärung des Falls notwendig wären, sind nicht mehr aufzufinden. Und Heinz Heß, Stasi-Oberstleutnant und zuständig für die Bekämpfung von Republikfluchten, erhielt zwar am Tag des Unfalls eine Prämie von 1 000 Mark und wurde später als Beschuldigter vorgeladen, erschien aber nicht und starb 2004. Im selben Jahr werden die Ermittlungen zum Fall eingestellt.

Eine Gedenktafel erinnert an den Unfallort von Lutz Eigendorf

Viele Jahre nach dem Unfall und dem Tod Eigendorfs deutete in Braunschweig-Querum nichts mehr auf die Geschehnisse hin. Zum 40. Todestag wurde das geändert: „Mit Unterstützung des BTSV Eintracht erinnert nunmehr eine Gedenktafel an den ehemaligen Profi“, schrieb der Kicker im März 2023 und ergänzt, dass die Tafel „die Geschehnisse […] in den gesamthistorischen Zusammenhang“ einordne. Vizepräsident Uwe Fritsch: „Für uns als Traditionsverein ist eine Erinnerungskultur sehr wichtig, sie gehört zur DNA der Eintracht.“

Fotoquelle: IMAGO / Rust

Anschrift: Unfallort von Lutz Eigendorf, Forststraße 27, 38108 Braunschweig

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Bildquelle: IMAGO / Rust
Der Unfallwagen Eigendorfs | Bildquelle: IMAGO / Rust
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3 Antworten

  1. Avatar von Gerhard Gizler
    Gerhard Gizler

    Im März 2023 soll dort eine Gedenktafel angebracht werden.

  2. Er ruhe in Frieden. Keiner wird es jemals erfahren wie es wirklich zuging.

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