Säulen der Eintracht, Frankfurt

Ein Sprichwort sagt, dass das Warten auf den Erfolg Ewigkeiten dauert, der Applaus dagegen in der Relation nur wenige Minuten anhält. Dieser Leitsatz darf in keiner Anleitung zum Fan-Sein fehlen, insbesondere dann, wenn sie für Traditionsvereine geschrieben wurde. Borussia Mönchengladbach: Auf Titel-Entzug seit 23 Jahren. Der HSV: Wartet seit 31 Jahren. Der 1. FC Köln sogar seit 36 Jahren. Und die Drittligisten aus Kaiserslautern oder von 1860 München träumen nicht mehr von der Deutschen Meisterschaft, sondern von der Rückkehr in Liga 2. In Frankfurt nahm die Titelabstinenz im vergangenen Sommer ein Ende. Der Pokalsieg wurde in der Mainmetropole ausgiebig gefeiert, aber dafür mussten die Fans der Eintracht zuvor durch ein finsteres, 30 Jahre langes Tal der Titellosigkeit wandern.

Warum nicht einfach Bayern-Fan werden?

Niemand wartet gern, nicht beim Arzt, nicht an der Bushaltestelle und schon gar nicht auf Erfolge beim Fußball. Warum werden wir dennoch Anhänger von Hamburg, Köln oder Mönchengladbach, wenn es doch die Bayern gibt? Oder zumindest Borussia Dortmund? Sicherlich: Wir suchen uns nicht den Verein aus, der Verein sucht uns aus. Das wissen wir seit Nick Hornby. Aber jenseits der Fever Pitch-Romantik werden wir Fan eines Vereins, weil

  1. wir lokal betroffen sind
  2. uns Familienangehörige manipuliert haben
  3. es Spieler gibt, mit denen wir uns identifizieren können.

Als der Hamburger SV Anfang der Achtziger die Bundesliga dominierte, war Karl-Heinz Rummenigge das Zugpferd des FC Bayern. Christian Nandelstädt vom Blog „Am Ende des Tages“ (texterstexte) erinnert sich:

Neu in der Stadt, neu in der Schule bin ich mit acht in einem Alter, in dem ich nach Vorbildern suche. Fündig werde ich bei dem Mann aus Lippstadt, der wie ich aus Ostwestfalen kommt. Dem für mich besten Fußballer der Welt. Eine Tormaschine. (…)

Ich spiele im Garten seine Tore nach. Nehme einige Jahre später Sportschauberichte auf VHS auf, um danach in Zeitlupe jede Rummenigge-Szene noch einmal genießen zu können.

Mein Karl-Heinz Rummenigge hieß Pierre Littbarski. Beim Frisör bestellte ich die gleiche Frisur wie mein Idol.  Und auf dem Rücken meines ersten Köln-Trikots prangt die 10, weil ich Littbarski noch mehr vergötterte als Colt Seavers.

Die Heldenverehrung im Fußball nimmt zum Teil groteske Züge an. Trotzdem macht sie einen romantischen Teil des Fan-Seins aus. Die Tränen, die meine Klassenkameradin Michelle für Mark Owen von Take That vergoss, heulte ich für Littbarski bei seinem Wechsel nach Japan.

Fjørtoft und Detari standen nicht zur Wahl

Eintracht Frankfurt huldigt die Identifikationsfiguren des Vereins mit einer ganzen U-Bahn-Station. Am 1971 als Umsteigeknoten gebauten und ab 1974 in Betrieb genommenen Willy-Brandt-Platz ziert eine Jahrhundertelf zwölf Säulen der Eintracht, die zwischen den Gleisen stehen: Oka Nikolov, Uwe Bindewald, Bruno Pezzey, Charly Körbel, Jay-Jay Okocha, Uwe Bein, Jürgen Grabowski, Alexander Schur, Bum Kun Cha, Anthony Yeboah, Bernd Hölzenbein und als Trainer Jörg Berger. Diese Mannschaft setzte sich gegen weitere 33 Spieler und drei Trainer durch. Dass es darunter einige Härtefälle gab, versteht sich von selbst. Legendäre Spieler wie Übersteiger-König Jan Åge Fjørtoft oder Lajos Detari standen erst gar nicht zur Wahl (sie hatten die Bedingungen nicht erfüllt: Mindestens 100 Pflichtspiele oder vier Jahre Zugehörigkeit zur 1. Mannschaft), mit Uli Stein und Manfred Binz fehlen zwei DFB-Pokalsieger von 1988, aus dem legendären Finale des Europapokals der Landesmeister von 1960 konnten sich weder Erwin Stein noch Alfred Pfaff oder Richard Kress durchsetzen.

Als erste deutsche Mannschaft stand Eintracht Frankfurt vor 50 Jahren im Finale der Champions League, die Zuschauer erlebten eine zauberhafte Partie. Bis heute gilt sie als das beste Spiel aller Zeiten.

»Der Spiegel«

Die Fans der Eintracht entschieden im Frühjahr 2012 darüber, wer auf den Betonpfeilern verewigt werden soll. Fast 16 000 Anhänger beteiligten sich an dem Voting, das nicht allein eine Idee der Eintracht war: „Die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main kam mit dem ebenso großartigen wie großzügigen Angebot auf Eintracht Frankfurt zu, die Säulen dieser Station der Geschichte der Eintracht zu widmen. So wurde die Idee geboren, die zwölf Säulen der Eintracht (elf Spieler und ein Trainer), die am Ende die Wahl gewonnen haben, auf den zwölf markanten Säulen an der Station der Linien U1, U2 und U3 abzubilden“, hieß es seinerzeit auf der (nicht mehr aktiven) Webseite zur Abstimmung. Die VGF versteigerte im Anschluss Patenschaften für jede Säule, der Erlös kam der Lebrechtstiftung zugute.

Von den 15 590 abgegebenen Stimmen entfielen die meisten auf die beiden Weltmeister Jürgen Grabowski (14 487) und Bernd Hölzenbein (14 483). Und Hölzenbein wusste bei der Präsentation der Säulen im Januar 2013, dass die Truppe am Willy-Brandt-Platz eine ist, „mit der wir in der Champions League für die eine oder andere Überraschung sorgen könnten“.

Neue Bewerber für neue Säulen der Eintracht

In diesen Tagen spielt die Eintracht nicht in der Champions League, aber immerhin in der Euro League. In Mailand, in Lissabon. Gut sieben Jahre sind seit der Wahl vergangen, inzwischen haben die Anhänger die ganze Bandbreite des Fan-Seins erlebt: Den Europapokal-Einzug 2013. Den blanken Horror mit den Relegationsspielen 2016. Den DFB-Pokalsieg 2018. Im Fußball geht’s schnell hoch und schnell runter, oft hängt es an den Leuten an der Spitze des Vereins, viel mehr aber den Spielern auf dem Feld. Und da hat die Eintracht gerade ein paar Kandidaten, die sich für die Ewigkeit empfehlen. U-Bahnhöfe gibt es ja reichlich in Frankfurt am Main.

Anschrift: Willy-Brandt-Platz, 60311 Frankfurt am Main

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2 Kommentare

Das waren richtig tolle Zeiten, wo Fussball noch Fussball war !
Wenn ich denke, was ist aus Schalke 04 oder Borussia Mönchengladbach
geworden ist !
Es tut meiner Seele weh ! ! !
Früher war ich verrückt nach Fussball, heute ist das nur noch Beilage !

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